Dies ist der erste Teil eines Beitrags unseres stellvertretenden Vorsitzenden Karl-Hermann Kandler zur Leuenberger Konkordie und ihren Problemen aus lutherischer Sicht. Der zweite Teil findet sich hier.
Die Geschichte der Leuenberger Konkordie
1973 wurde die Leuenberger Konkordie verfasst von lutherischen, reformierten und unierten Theologen aus verschiedenen Ländern. Aus Sachsen war Oberlandeskirchenrat Dr. Tannert an ihr beteiligt. Bei keiner Gegenstimme und vier Enthaltungen (darunter der Lutheraner Jörg Baur) wurde sie angenommen.
Ihr gingen zahlreiche Lehrgespräche voraus. Antrieb war die EKD-Grundordnung, die 1948 festgestellt hatte, dass es innerhalb der Evangelischern Kirche in Deutschland unterschiedliche Auffassungen über das heilige Abendmahl gäbe. Die EKD war ein Bund bekenntnisverschiedener Kirchen ohne Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Auch die Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957 fanden bei den lutherischen Kirchen keine einhellige Zustimmung. Man bezeichnete sie als ein „Studiendokument“. Man gab sich auf reformierter und unierter Seite damit nicht zufrieden. Eine 2. Abendmahlskommission wurde eingesetzt, sie stellte ohne erneute theologische Debatte 1967 fest, dass in allen Gliedkirchen der EKD eine „offene Kommunion“ praktiziert werde, also auch Glieder einer reformierten oder unierten Kirche in der lutherischen Kirche und umgekehrt zum Abendmahl zugelassen werde, doch wurde den das Abendmahl feiernden Geistlichen die „seelsorgerliche Verantwortung“ darüber zugesprochen. Die reformierten Kirchen boten den Lutheranern Kirchengemeinschaft an, worauf die Lutheraner gemeinsame Lehrgespräche anboten. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen und die beiden konfessionellen Weltbünde, der Lutherische und der Reformierte Weltbund, sprachen sich für sie aus. So kam es zu mehrfachen Lehrgesprächen – diesmal aber zunächst nicht zur Abendmahlsfrage. Der lutherische Neutestamentler Leonhard Goppelt begründete das so: „Die Abendmahlsfrage (wurde) nicht aufgenommen, weil die Arnoldshainer Thesen erwiesen, daß hier keine der beiden Konfessionen trennenden Unterschiede mehr vorliegen“. Das entsprach nicht den Tatsachen. Hans Graß hatte 1961 erklärt, dass die durch die Thesen „von den Lutheranern geforderten Opfer zweifellos größer (sind) als die der Reformierten“. Die neuen Gespräche wurden 1964-1967 in Bad Schauenburg geführt. Verabschiedet wurden Thesen zu den Themen Gesetz, Wort Gottes und Bekenntnis. Deren Ergebnisse waren aber offensichtlich vielen zu akademisch. Die Gespräche wurden abgebrochen und neu auf dem Leuenberg ab 1969 geführt. Ziel war erklärtermaßen die Herstellung von Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen, reformierten und unierten Kirchen. Es ging also nicht mehr um einzelne Themen, sondern pragmatisch um das Thema „Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung“.
Anstoß dazu geben dazu die „Thesen zur Kirchengemeinschaft“ der deutschen Landeskirchen. Zu den Gesprächen wurden nun auch verwandte vorreformatorische Kirchen (Waldenser, Brüder-Unität) eingeladen. 1971 wurde der Entwurf einer Konkordie der Öffentlichkeit übergeben und um Stellungnahmen und gegebenenfalls Änderungswünsche gebeten. Die eingehenden Änderungswünsche führten wohl Präzisierungen im Text, aber keine grundsätzliche Korrektur. Doch eine wesentliche Korrektur wurde bei dem Abschnitt über die Taufe vorgenommen, denn im Entwurf war nicht zu lesen, dass diese mit Wasser zu vollziehen sei. Dahinter stand die Ablehnung der sakramentalen Wassertaufe bei Karl Barth. Im endgültigen Text ist festgehalten, dass sie „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser vollzogen“ wird. Behauptet wird im Text der Konkordie, dass es ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums gibt und dass es eine Übereinstimmung der bisher kontrovers gesehenen Lehren von Taufe, Abendmahl, Christologie und Prädestination (Vorherbestimmung/Erwählung) gäbe. Der elsässische Lutheraner Marc Lienhard hatte das grundlegende Referat gehalten. Ihm ging es darum festzustellen, dass es keine Hinderungsgründe mehr für eine Kirchengemeinschaft zwischen den konkordierenden, also der Konkordie zustimmenden Kirchen mehr gibt. Er meinte, es sei „eine Revision der Verwerfungen der Vergangenheit möglich wie auch notwendig“. Es wurde aber letztlich nicht gefragt, ob noch solche Hinderungsgründe bestehen, sondern von vornherein festgestellt, dass es solche nicht mehr gäbe. Immerhin hat Lienhard festgehalten: „was einmal als Verfehlung des Evangeliums erkannt ist, kann nicht durch eine neue Situation Wahrheit werden“. So heißt es auch im Konkordientext, dass man „die Entscheidungen der Väter ernst“ nimmt. Die geschichtlichen Veränderungen würden die alten Sachdifferenzen nicht aufheben, aber sie würden sie relativieren. So glaubte man, auf eine „prozessual gewagte Kirchengemeinschaft“ eingehen zu können, weil, so wurde behauptet, die gegenseitigen Verwerfungen in den Bekenntnisschriften den Partner heute nicht mehr träfen. Man wollte endlich ein Ergebnis, eine Kirchengemeinschaft haben. So kam es zu den kompromisshaften Formulierungen der Leuenberger Konkordie, die schließlich 1973 beschlossen und den an den Gesprächen beteiligten Kirchen zur Annahme übergeben wurden: „Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben.“ Es gibt zwar außer in der Abendmahlslehre, Christologie und Prädestinationslehre weitere strittige Fragen, etwa zur Lehre von den beiden Reichen oder zum geistlichen Amt. Darum verpflichtete man sich zu weiteren Lehrgesprächen über die bisher noch nicht behandelten Probleme. Sie sind auch inzwischen geführt worden. Zwar sollen die jeweiligen Bekenntnisschriften weiterhin gelten, aber sie werden durch die Konkordie – entgegen ihrem Wortlaut – als ein Superbekenntnis überlagert. Der Konkordientext spricht nicht von einer durch sie begründeten Kircheneinheit, aber von einer Kirchengemeinschaft. Das Lutherische Einigungswerk hat nach Annahme der Konkordie dagegen beim Verwaltungs- und Verfassungsgericht der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche geklagt. Dieses hat zwar die Klärung der Frage, ob sie nicht gegen das Bekenntnis verstoße, als berechtigt anerkannt, aber diese an die Kirchenleitung der VELK(DDR) zurückgegeben. Eine Klärung ist nie erfolgt.
Angenommen wurde die Konkordie zunächst von 50 europäischen Kirchen (in Deutschland von allen Landeskirchen). Eine Reihe von lutherischen Kirchen – vor allem skandinavische – haben Vorbehalte vorgebracht und sie nicht unterzeichnet. Die Selbständige Ev.-Luth. Kirche lehnt sie ab. Heute wird in der EKD und ihren Gliedkirchen vielfach argumentiert, dass durch die Konkordie Geistliche aus einer der anderen konkordierenden, aber bekenntnisverschiedenen Kirche übernommen werden können. So wurde ein Reformierter Bischof einer lutherischen Landeskirche (Braunschweig). Die Bekenntnisunterschiede sind also in der Praxis völlig relativiert.
Was sind die uns Lutheranern besonders schwerfallenden Aussagen der Konkordie? Eine sei herausgegriffen, die Aussage über das hl. Abendmahl. In unseren Bekenntnissen heißt es, „dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi wirklich unter der Gestalt des Brotes und des Weines im Abendmahl gegenwärtig ist und dort ausgeteilt und empfangen wird“. Das ist für reformierte Christen so nicht annehmbar. Für sie sind Brot und Wein „gewisse Wahrzeichen des Leibes und Blutes“, also Wahrzeichen, aber nicht selbst Leib und Blut Christi. In der Konkordie heißt es nun: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen.“ Es ist also nicht die Rede davon, dass wir in/unter Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi empfangen. Es steht auch nicht da, dass diese reale Gegenwart von Leib und Blut Christi durch sein wirkendes Wort geschieht. Es ist nur von seinem verheißenden Wort die Rede. Die wirkliche Gegenwart (Realpräsenz) wird nicht gelehrt, sondern durch eine personale Gegenwart Christi durch den Heiligen Geist ersetzt („In Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig“). Sicher ist Christus personal im Abendmahl gegenwärtig, er ist der Herr des Mahles, aber die Gabe des Abendmahles ist nicht eindeutig beschrieben. Im Evangelischen Gesangbuch steht (Nr. 530, 6): „Ich habe Jesu Leib gegessen,/ ich hab sein Blut getrunken hier;/ nun kannst du meiner nicht vergessen,/ ich bleib in ihm und er in mir.“ Das ist unser Glaube, in dem wir leben und mit dem wir sterben wollen. Das ist eine klare Aussage, wie sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmt. Daran wollen wir festhalten.
Es sind also keine Kleinigkeiten, die uns Lutheraner so kritisch gegenüber der Leuenberger Konkordie sein lassen. Wir erleben es jetzt andauernd, dass nur noch davon gesprochen wird, dass wir im Abendmahl Brot und Wein (oder gar Saft) empfangen. Häufig werden heute die Einsetzungsworte nicht mehr über Brot und Wein auf dem Altar gesprochen, sondern nur noch der Gemeinde zugewandt bestenfalls über einem Hostienteller und über einem Kelch. In manchen Gemeinden wird bei der Ausspendung nicht mehr gesagt: „Christi Leib, für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen“, sondern nur noch: „Das Brot des Lebens: für dich; der Kelch des Heils: für dich“. So ist es auch in der „Erneuerten Agende“ als Möglichkeit vorgesehen. Die Leuenberger Konkordie hat also Konsequenzen, die wir in unseren Gottesdiensten erleben.
Karl-Hermann Kandler, stellv. Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses