150 Jahre Lutherische Konferenz – das lutherische Herz

Vor 150 Jahren fand am 1. und 2. Juli 1868 die erste “Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz” statt. Im Vorfeld des Lutherischen Tages 2018, der sich dem Zweck der Sammlung und des Austauschs  der Lutheraner verpflichtet sieht, wollen wir deshalb an die Konferenz erinnern, indem wir Teile aus den damaligen Vorträgen publizieren, die auch heute noch zu uns sprechen können. Heute folgt ein Ausschnitt aus dem zweiten Teil der Predigt von Ernst Luthardt aus dem Eröffnungsgottesdienst am 01.07.1868 um 08:30 Uhr in der Marktkirche Hannover:

[L]asset uns unserer Kirche die Treue bewahren, die wir ihr schuldig sind:

2. Wie erzeigen wir diese Treue? Zweifach; daß wir bewahren was wir sind und haben, und daß wir es bewähren.

Denn das ist das Erste und Notwendigste, daß wir festhalten, was wir haben. Wir mögen mit Manchem in unserer Kirche unzufrieden sein. Es ist wahr, sie ist ohne Gestalt und Ansehen, mangelhaft in ihrer Ordnung, gebunden in ihren Organen; es sind Fehler gemacht worden oben und unten, aus Verzagtheit, aus Glaubensschwäche oder auch aus falschem Eifer. Und das Alles hat in Vielen einen Geist der Kleinmüthigkeit erzeugt, der nicht mehr recht zu hoffen wagt und zum getrosten Handeln sich entschließt. – Aber, Geliebte, fassen wir den Freund nicht gerade dann am festesten an der Hand, wenn er zu straucheln in Gefahr ist? Und sollen wir ihm nicht dann am truesten zur Seite stehn, wenn er in Noth ist? Und so viel er fehlt – das wäre ein schlechter Freund, der sich über einzelnen Fehlern und Fehltritten den Blick verhüllen ließe in den verborgenen Kern seines Wesens. Wer einmal mit dem Blick der Liebe den edlen Gehalt einer Seele erkannt hat, der wird so leicht nicht wieder irre werden an ihr, wenn ihm auch gar manches Verwunderliche im äußeren Leben und Verhalten entgegentritt. So denn auch, wer einmal den göttlichen Schatz erkannt hat, den unsere Kirche im irdenen Gefäße trägt, der wird sich nicht so leicht ärgern an der Knechtsgestalt, in welcher diese freigeborene Tochter des himmlischen Königs auf Erden einhergeht. Alle Treue ruht auf Glauben. Glauben wir denn an unsere Kirche, und wenn es sein muß: auch ohne zu sehen; wenn es sein muß: wider Hoffnung auf Hoffnung! In solchem Glauben laßt uns festhalten, was wir haben!

Denn wir wollen nicht, daß der Geist der Neuerung, der in der Welt herrscht, auch in der Kirche zur Herrschaft komme und nach dem Belieben, sei es der Menge, sei es der herrschenden Gewalten, über sie verfüge als wäre sie ein herrenloses Gut. Wir wollen nicht, daß sie gemessen und behandelt werde nach Wünschen und Gedanken, die nicht ihr selbst und ihrem Wesen entstammen. Wir wollen nicht, daß das Heute in ihr nichts von dem Gestern wisse und sein Recht erst suchen und sich erbitten oder fordern müsse, das doch in dem Zusammenhang ihrer Geschichte liegt und kein anderes ist als das Recht von Gestern. Nicht als wüßten wir nicht, daß auch die Kirche wachsen und zunehmen muß wie Alles auf Erden. Hat doch der Herr Jesus selbst zugenommen an Alter und Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen, und hat die Offenbarung des Heils auch eine Geschichte gehabt, aus dem Alten in das Neue Testament hinein. Aber es ist dieselbe Gnade, die Paulus predigt und welche Gott im Paradies den Stammeltern unseres Geschlechts verheißt, und es ist derselbe Herr, beides der im Gehorsam des elterlichen Hauses wandelt und der im Gehorsam seinen Beruf am Kreuz erfüllt. Eben weil unsere Kirche wachsen und zunehmen soll, eben darum soll ihr Wesen bleiben, das es ist und nicht verstört werden. Hierfür einzustehen und Sorge zu tragen, fordert die Pflicht der Treue – die Treue der Bewahrung.

Aber, Geliebte, die Bewahrung ist nicht eine Ruhe, sondern eine Arbeit. Der Schatz, den unsere Kirche zu verwalten, die seligmachende Wahrheit, die sie zu verkündigen den Beruf hat, ist nicht ein todter Besitz, den man ins Schweißtuch hüllen und vergraben könnte. Wir besitzen ihre Wahrheit nur, wenn wir sie stets erwerben. Wie der Christ, wie Luther sagt, ein Werden ist und nicht ein Gewordensein, und wie er der bleibt der er ist, nur wenn er stets im Werden ist, in Buße und Glaube, in Liebe und Erkenntnis, so bleibt auch die Kirche was sie ist, nur wenn sie stets im Werden ist, damit sie hinanwachse zum vollen Maß der Reife des Lebens und der Erkenntniß. Denn wie der Geist des Lebens seine Arbeit hat, eine Arbeit der Reinigung von Allem, was nicht aus Gott geboren ist, und des Fortschritts in immer völligere Durchdringung und Erfüllung mit dem Leben des Geistes Jesu Christi, so hat auch der Geist der Erkenntnis seine Arbeit. Und wir wissen, daß hierin eine besondere Gabe und ein besonderer Beruf unserer Kirche liegt. Aber vergessen wir nicht, Geliebte, daß die Arbeit unseres Geistes auch um die seligmachende Wahrheit nicht von dem allgemeinen Menschenlose des Irrthums ausgenommen ist. Dies müssen wir uns Alle gefallen lassen, so lange wir auf Erden wandeln, bis wir dereinst ins Licht der vollen Wahrheit kommen. Lernen wir die verborgenen Wege der Wahrheit auch auf den Umwegen menschlicher Gedanken und Irrthümer erkennen! Lernen wir die redliche Arbeit auch im Irrthum achten und die Irrenden tragen und warten in Geduld. Vergessen wir nicht, daß die Kirche einweites Reich ist und Raum hat für Viele und daß Gott das Herz ansiehet und nicht bloß den Kopf, und daß ein lutherisches Herz mehr werth ist als der bloße Verstand der Korrektheit. Und endlich halten wir fest an der Hoffnung, daß wo die seligmachende Wahrheit unserer Kirche im Herzen wohnt und ihr Oel des Geistes ausgegossen hat, daß es dann auch am Licht der Erkenntniß der Wahrheit im Haupte nicht fehlen wird.

Das heißt bewahren was wir haben.

Aber, Geliebte, wir bewahren das Gut, das uns anvertraut ist, nicht, wenn wir es nicht bewähren. Bewähren vor Allem in der treuen Arbeit des einzelnen Berufs. Denn nicht das wird Gottes erste Frage dereinst an uns sein am Tage des Gerichts, was wir für das Allgemeine der Kirche gearbeitet haben, sondern wie wir ein Jeder an dem Platze, an welchen Gott uns hingestellt hat, unsere Schuldigkeit gethan und die Treue bewährt haben in gewissenhafter Verkündigung des Wortes und Verwaltung der Sakramente. Denn wir wissen ja Alle: das ist in dieser und in jeder andern Arbeit, die sich daran anschließen mag, vor Allem die Hauptsache, daß wir nict nach unseren eigenen Gedanken und Wahl einhergehen, sondern des Willens Gottes und unseres Berufes gewiß seien. Sind wir aber dessen gewiß, dann, geliebte Brüder, laßt uns auch fröhlich und getrost sein und Menschengericht, es sei Lob oder Tadel, nichts achten, sondern deß eingedenk bleiben, daß es ein viel Höherer ist, gegen den wir eins Rechenschaft abzulegen haben von unserer Verwaltung. […] Wir sind bestellt, Hüter des Schatzes zu sein, den uns Gott vertraut at; er wird ihn einst von unsern Händen fordern. Ich weiß es wohl, man nennt uns ein eigensinniges und starrsinniges und hadersüchtiges Geschlecht, und will es nicht erkennen, daß, was man einen friedelosen Sinn schilt, die Pflicht der Treue ist, die wir zu bewähren haben. Nein wahrlich, wir grüßen alle mit dem Friedensgruß  und bieten Allen die Friedenshand, so viele ihrer mit uns in Frieden zu leben begehren. Nur um dies Eine bitten wir und können nicht lassen darum zu bitten und zu fordern und, wenn es sein muß, uns darum zu wehren: daß man uns bleiben lasse, die wir sind, und unseres Glaubens und Bekenntnisses in Frieden leben lasse, und nicht uns Einzelne blos, und nicht die einzelnen Gemeinden blos, sondern unsere Kirche. Dies ist unsere Friedesnbedingung, unsere einzige, aber unsere unabänderliche Friedensbedingung.

Nicht als wüßten wir nicht oder erkenneten es nicht an, welche edlen Gaben Gott auch den andern Kirchen gegeben. Oder als lebten wir in der hochmütigen Einbildung, wir könnten nichts von ihnen lernen, und als verkennenten wir den Segen, der auf freiem Verkehr und gegeneitigem Austausche ruht. […] Nein, des Christen Vaterland ist größer als die engen Grenzen seiner Kirche. Aber soweit sich auch unser Herz ausbreitet – zunächst ist es doch unsere Kirche, welche unsere Treue erfordert und unsere Arbeit. Und wir wissen ja, wir dienen dem Ganzen um so besser und fruchtbarer, je gewissenhafter wir in diesen Grenzen die Treue bewaren. Denn so hat es nun eben Gott gewollt und gefügt, daß eine jede einzelne Kirche dem Reiche Gottes mit der eigenthümlichen Gabe dienen soll, die ihr von Gott verliehen ist. […] [W]ill man das von uns, [dass wir mit den Andern zusammentreten] wohlan, wir können es um so reichlicher und um so freudiger thun, je mehr wir sicheren Boden unter unsern Füßen haben und Herren im eigenen Hause bleiben und die Selbständigkeit uns unangetastet bleibt, die eine jede Kirche zu fordern Recht und Pflicht hat. […] Mit unserer Treue sollen wir unserer Kirche dienen, aber unsere Kirche soll dem Reiche Gottes dienen. Auf dieses Ziel laßt uns den Blick stets gerichtet halten, auch in der geringsten Arbeit und im engsten Beruf. Und bei allem Leid und Streit unserer Tage wollen wir unser Herz trösten und stärken mit dem Bilde jener Zukunft, da der Herr einst kommen wird, sein Reich des Friedens herrlich aufzurichten, und die Frucht der Arbeit aller Kirchen sammeln wird, auch der lutherischen Kirche, auch unserer Arbeit, auch dieser Tage. So verleihe uns denn Gott in Gnaden, daß diese Tage so unserer Kirche dienen, daß sie dadurch für das Reich Gottes Frucht schaffen, für das Reich, das wir hoffen und erflehen mit jenem uralten Betruf der sehnenden und hoffenden Kirche: Komm, Herr Jesu! Amen. Ja komm, Herr Jesu. Der Du bist der Erste und der Letze, A und O, Anfang und Ende, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige, der Du wandelst unter den Leuchtern Israels und trägst die Sterne in deiner Hand und hast das scharfe zweischneidige Schwert, der du tödtest und machst lebendig, welche Du willst; neige Dich zu uns und sei uns gnädig, laß leuchten Dein Antlich über uns, so genesen wir. Herr, wir warten auf Dein Heil! Ja, Du wirst es thun. Amen! Ja, Amen!

 

 

 

 

150 Jahre Lutherische Konferenz – „um uns gegenseitig zu stärken und stärken zu lassen“

Vor 150 Jahren fand am 1. und 2. Juli 1868 die erste „Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz“ statt. Im Vorfeld des Lutherischen Tages 2018, der sich dem Zweck der Sammlung und des Austauschs  der Lutheraner verpflichtet sieht, wollen wir deshalb an die Konferenz erinnern, indem wir Teile aus den damaligen Vorträgen publizieren, die auch heute noch zu uns sprechen können. Den Anfang macht ein Ausschnitt aus der Ansprache des Vorsitzenden, Präsident Dr. von Harleß, der damit die Verhandlungen am 01.07. um 10:30 Uhr in der Aegidien-Kirche Hannover eröffnete:

 

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dieses Wort drang mir zu Herzen als der einzige Quell, aus welchem ich für mich und wir alle für uns Trost und Zuversicht schöpfen dürfen. Wer wären denn wir, wenn Er nicht mit uns zöge? Wenn aber Er in der Kraft Seines Geistes und Wortes mit uns ist, wovor wollten wir uns fürchten? […]

Was wir als Glieder der lutherischen Kirche und Träger ihres wahren Geistes vor Allem nicht wollen können und dürfen, daran erinnert uns das Wort einer alten Mahnung, das schon vor langer Zeit Valentin Ernst Löscher gesprochen hat. Der hat gesagt, daß es mit jener Kirche und kirchlichen Genossenschaft elend und schlecht bestellt sein müsse, welche etwa wie der Pharisäer in jenem Gleichniß vor Allem Gott dafür dankte, daß sie nicht sei wie andere Leute. Vielmehr erkenne man daran auch die wahren Kirche und die Leute wahrhaft kirchlicher Gesinnung, daß man mit dem Zöllner an die Brust schlage und spreche: Gott sei uns Sündern gnädig! Das lassen Sie auch uns gesagt sein. Und wenn uns das zu Herzen gegangen ist, dann steht auch vor Allem Eines fest, was wir nicht wollen können noch dürfen. Wir können nicht auf den Einfall gerathen, uns selbst sei es für unsere Person, sei es für unsere kirchlichen Zustände wie einen Spiegel von Trefflichkeiten, Herrlichkeiten und christlichen Vorzüglichkeiten hinstellen und präsentieren zu wollen. Vielmehr sagen wir offen und ehrlich, daß das, was uns zusammengeführt hat, vor Allem eine gemeinsame Noth ist, die wir alle empfinden. Und wenn wir von einer Noth unserer Wunden reden, so denken wir viel weniger an jene, die uns Andere bereitet, als an die Wunden, die wir in Unverstand oder Untreue uns selbst geschlagen haben. Aber eben deshalb suchen wir auch gemeinsam den rechten Helfer, der, wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen, mitten unter ihnen sein will. Und so wir aufrichtig unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergibt und reiniget uns von unserer Untugend. Denn noch steht das alte Verheißungswort fest, daß Gott es den Aufrichtigen gelingen lasse.

Ist aber dieses unser Sinn, so kann es uns auch nicht beikommen, daß wir aus unserem Zusammentritt ein Schaustück und eine Schaustellung machen wollen, oder was man in fremder Zunge eine Demonstration zu nennen beliebt. Wenn es zufällig diese Wirkung auf Andere ausübt, so können wir nicht dafür und ist das nicht von uns beabsichtigt. Denn Andere haben hie und da lutherische Kirche und lutherisches Wesen allzu früh auf den Aussterbeetat gesetzt, und siehe, wir sind doch noch da und leben. Daß wir aber noch leben, das ist nicht unser Ruhm und Verdienst, sondern Gottes helle Gnade und Erbarmung. Und wenn das nun Andere sehen und sich daran ärgern, so ist das weder unser Wille, noch unsere Schuld.

Was wir aber wollen, das soll lediglich unserer Kirche, ihrer Noth und ihrem Bedürfniß dienen. Nichts dünkt uns verwerflicher und verächtlicher, als Kirche und kirchliche Zwecke vorschieben, um dies zur Maske und zum Deckmantel fremdartiger Hintergedanken und Bestrebungen zu machen. Vor allem muß Kirche und das, was Politik heißt, unverworren bleiben. Was des Staates und der Reiche dieser Welt ist, geht uns hier nichts an. Was des Herrn und seiner Kirche ist, das allein muß uns am Herzen liegen und hier Gegenstand unserer Berathungen sein und bleiben. Also lassen Sie uns nicht blos sagen, sondern danach gewissenhaft thun. Wenn wir nun ein Neues wollen, so wollen wir am wenigsten „ein Neues machen.“ Denn vor allem wollen wir ein  a l t e s  Gut halten, und nur sorgen, daß es neu lebendig werde. Das aber wollen und können wir nicht machen. Alle Macherei ist verwerflich; nirgend aber verwerflicher und gemeinschädlicher, als auf dem Boden der Kirche.  Die innere Einheit aber, welche alle lebendigen Glieder der Kirche verbindet, ist kein neues, sondern ein altes Gut. Und wenn wir ein Neues erleben, so wirkt dies der Ernst und die Noth der Zeit, die uns drängt, nicht in territorialen Winkeln sitzen zu bleiben und vereinzelt sei es zu weinen, sei es zu sorgen und zu schaffen, sondern weithin die Hände auszustrecken, um uns gegenseitig zu stärken und stärken zu lassen und in gemeinsamem Gebet und in gemeinsamer Arbeit uns und Dem zu dienen, der seines Reiches Dienst in die Hände treuverbundener Brüder gelegt wissen will.