Was bedeutet “lutherisch”?

 

Was ist lutherisch?

Viele Kirchen nennen sich „lutherisch“. Aber was bedeutet das? Ist es wirklich, wie man oft lesen kann, lediglich eine Verehrung Martin Luthers?

Lutherisch war zunächst eine Fremdbezeichnung – ein Schimpfwort – gegen die Anhänger der Lehre Martin Luthers. Später hat man es selbst gebraucht, um die Unterschiede zu anderen Lehrauffassungen deutlich zu machen. Inhaltliche, lehrmäßige Differenzen wurden deutlich gemacht. Lutherisch sein ist also nicht an die Person Martin Luther gebunden. All sein Wirken und Tun ist nicht entscheidend.

 

Entscheident für diese Frage sind die Bekenntnisschriften der Lutherischen Kirche. Diese sind zusammengetragen im Konkordienbuch. In diesen Bekenntnissen wird der christliche Glaube definiert und erklärt. Die Lutherischen Kirchen betrachten die Aussagen der Bekenntnisse als schriftgemäß (d.h. das wiedergebend, was in der Bibel als Ganzes gelehrt wird) und wahr.

Der einzelne, persönliche Glaube findet in diesen Worten Ausdruck, weil sie eine Wiederholung und Zusammenfassung der biblischen Lehre darstellen.

 

Was also ist ein Lutheraner?

Lutheraner sind Menschen, welche glauben, dass Gott in der Bibel  gesprochen hat. Sie glauben, dass die Bibel die allein entscheidende Relevanz für alle Fragen des Glaubens hat.

Sie glauben, dass dieses Wort Gottes in richtiger Weise von den Bekenntnisschriften erklärt und gelehrt  wird. Die Bekenntnisschriften sind damit ein Bekenntnis zur und von dem Evangelium von Jesus Christus.

Konfessionelle Lutheraner sind überzeugt davon, dass alle christliche Lehre mit den Bekenntnisschriften konform gehen soll. Das mag vielleicht ziemlich arrogant und verknöchert klingen. Es ist aber lediglich ein Ausdruck der Überzeugung, dass der Heilige Geist  uns auf diese Weise bewegt hat, unseren Glauben gegenüber der Welt zu bekennen. Er selbst hat uns geführt – wir haben uns dieses Bekenntnis also nicht ausgesucht.

Konfessionelle Lutheraner ehren das Wort Gottes, die Bibel. Dieses Wort sagt, dass es Gottes Wille ist, dass die Kirche in Einigkeit über die Lehre friedlich gegenüber dem anderen leben und den Glauben bekennen soll (1. Kor 1,10; 2. Kor 13,11). Die Bekenntnisse erachten sie als überaus klare, akkurate und tröstend-ermutigende Lehre der Bibel, wie sie von keinem anderen christlichen Dokument sonst erreicht werden.

 

Grußwort zum Reformationsjubiläum („Stimme der Väter“ im Weihnachtsrundbrief 2016)

Professor Christoph Ernst Luthardt – einer der Väter des Einigungswerkes und Schirmvater des Jubiläumstages – grüßt und unterbricht die Kirche mitten in ihrem beschäftigten Reformationsjubiläum  mit seinen Gedanken aus dem Jahr 1880:

 
„Um mich, um meine Seele und Seligkeit handelt es sich und wird es sich einst handeln im jüngsten Gericht; da kann kein anderer, auch nicht die Korporation der Kirche für mich eintreten; sondern Christus muss m e i n Heiland sein und seines Heils mich persönlich teilhaftig und gewiß gemacht haben. Das ist der Fortschritt der Reformation in der Entwicklung des religiösen Geistes in der Kirche: diese persönliche Wendung welche dem objektiven Heil gegeben wurde. Es ist das Recht der Subjektivität, dessen Zeitalter damals eröffnet wurde. Seitdem setzt sich das Prinzip der Subjektivität auf allen Gebieten durch, wie auf dem religiösen so auf dem allgemeinen geistigen, sittlichen, politischen, sozialen. […]
Daraus erklärt es sich denn auch, wie der Rationalismus dazu kommen kann, sich für die Fortsetzung und Vollendung der Reformation auszugeben. […] Und noch heute versteht man vielfach unter Protestantismus diese unbedingte Freiheit des einzelnen, sich seinen Glauben in der Schrift selbst zusammenzusuchen, oder schließlich auch ohne die Schrift sich seinen Glauben zu bilden und sich von der Authorität der Schrift und der kirchlichen Lehre zu dispensieren und dabei doch – oder eben darum – ein guter Protestant zu sein. Aber so hatte es Luther nicht gemeint, das war ihm nicht in den Sinn gekommen, eine solche unbeschränkte Freiheit zu predigen und sie zur Grundlage der Kirche zu machen […].
Aber auch für den einzelnen fiel es ihm nicht ein, eine solche Freiheit zu lehren, vermöge derer jeder selbst nach Gutdünken die Schrift deuten und kritisieren und sich zum Richter über die Wahrheit aufwerfen kann. Seine Meinung war nicht, dass der einzelne und seine Vernunft Quelle und Norm der Wahrheit sein solle – nichts lag ihm ferner – vielmehr sollte er Empfänger der Wahrheit sein. Die Wahrheit solle sein persönlicher Besitz und seine persönliche Gewißheit aber nicht sein individuelles Erzeugnis sein. Vielmehr Quelle und Norm der Wahrheit war ihm die göttliche Offenbarung, die ihre Urkunde und ihr Zeugnis in der Schrift hat. Ihr ist der einzelne untergeordnet, nicht übergeordnet. S i e ist Richterin und Authorität, nicht der Mensch.

Wenn Luther sich auf sein Gewissen beruft, so war es sein im Wort Gottes gebundenes Gewissen, also im Grunde dieses Wort Gottes selbst, auf das er sich berief. […]Er kannte kein Recht des Subjekts, außer in der Unterordnung unter die höhere Autorität der göttlichen Wahrheit, deren Offenbarerin ihm allein das Wort Gottes und deren Bewahrerin ihm die Kirche war. Das also war die Subjektivität der Reformation, eine ganz andere als die Subjektivität des modernen Rationalismus, dessen Grundsatz somit zwar an die Reformation anknüpft, aber die Entstellung der Reformation ist.“
Prof. Christoph Ernst Luthardt, „Vorträge über die modernen Weltanschauungen“, gehalten zu Leipzig im Winter 1880, S. 29 ff.